In der Kunst gibt es nur ein Kriterium: die Gänsehaut. Man hat es, oder
man hat es nicht.
Kurt Tucholsky (1, Bd. 7: 243), Gesammelte Werke in 10
Bänden
Ich kenne noch keine bessere Definition von Kunst als diese: Die Kunst, das
ist der Mensch hinzugefügt zur Natur, die er entbindet, die Wirklichkeit,
die Wahrheit und doch mit einer Bedeutsamkeit, die der Künstler darin
zum Ausdruck bringt.
Vincent van Gogh (1, 23), Dokumente zum Verständnis
der modernen Malerei
Ich teile alle Werke in zwei Gruppen: in die, die mir gefallen, und die, die
mir nicht gefallen. Ein anderes Kriterium habe ich nicht, [...]. Vielleicht
finde ich, wenn ich mit der Zeit klüger geworden bin, ein Kriterium,
aber vorläufig ermüden mich nur alle Gespräche über das
>>Künstlerische
<<,
sie scheinen mir die Fortsetzung derselben scholastischen Gespräche zu
sein, die im Mittelalter die Menschen ermüdet haben.
Anton Tschechow (1, 172), Brief an Iwan L. Leontjew: 22.
März 1890
Dies Verwandeln-Müssen ins Vollkommene ist - Kunst. Alles selbst, was
er nicht ist, wird ihm trotzdem zur Lust an sich; in der Kunst genießt
sich der Mensch als Vollkommenheit.
Friedrich Nietzsche (1, 9.), Götzendämmerung:
Streifzüge eines Unzeitgemäßen
Unsere Kunst ist ein von der Wahrheit Geblendet-Sein: Das Licht auf dem zurückweichenden
Fratzengesicht ist wahr, sonst nichts.
Franz Kafka (1, 63.), Betrachtungen über Sünde,
Leid, Hoffnung und den wahren Weg
Die Kunst ist das Mikroskop, das der Künstler auf die Geheimnisse seiner
Seele einstellt, um diese allen Menschen gemeinsamen Geheimnisse allen zu
zeigen.
Lew Tolstoi (1, 40), Tagebuch 1895-1898
Kunst = Natur - x. Damit locke ich noch keinen Hund hinterm Ofen hervor! Gerade
um dieses x handelt es sich ja!
Arno Holz (1, 115), Die Kunst
Wissenschaft ist Spektralanalyse. Kunst ist Lichtsynthese.
Karl Kraus (1, 249)
Die Kunst offenbart die mangelnde Planung der Natur, ihre sonderbare Grausamkeit,
ihren durchaus unfertigen Zustand. Die Natur hat gute Absichten, aber sie
kann sie nicht ausführen. Die Kunst ist unser ritterlicher Versuch, der
Natur ihren richtigen Platz anzuweisen.
Oscar Wilde (1, 59), Aphorismen
Kunst ist ein Schritt von der Natur zur Unendlichkeit.
Khalil Gibran (1, 79), Sand und Schaum
Die Kunst also ist ungelebte Magnetkraft, die alles Leben an sich reißt.
- Ach! - in der fernsten Ferne meines Lebens sehe ich, fühle ich die
Magnetkraft mich beherrschen, - sie ist Kunst an sich. Feuerkraft ist sie,
dem Geisteswillen sich zu unterwerfen. Das Ungelebte zwingt das Lebende!
Bettina von Arnim (2, 142), Frühlingskranz
Die wahre Kunst beginnt erst mit der Darstellung geistiger, seelischer Ereignisse.
Das Leben muß durch einen Geist, durch eine Seele hindurchgehen und
da sich mit Geist und Seele durchtränken wie ein Badeschwamm. Dann kommt
es heraus, größer, voller, lebendiger! Das ist Kunst!
Peter Altenberg (1, 11), Die Lebensmaschinerie
Kunst bedeutet, sich etwas aus den Dingen zu machen.
Alexander Eilers (1, 124.), Aber-Witz
Wer nichts will, nichts erhofft und nichts fürchtet, der kann kein Künstler
sein.
Anton Tschechow (1, 272), Brief an Alexej S. Suworin: 25.
November 1892
Kunst ist die Krone des Lebens. Wie könnte unsere Zeit noch Kronen tragen?
Glasperlen und Flittergold, das ist der Schmuck des Todes. Zu späte Menschen
sind wir, vergangenheitsliebend, vergangenheitslebend. Uns ist die Kunst tot.
Georg Groddeck (1, 16), Psychoanalytische Schriften zur
Literatur und Kunst
Das allgemeine und absolute Bedürfnis, aus dem die Kunst [...] quillt,
findet seinen Ursprung darin, daß der Mensch
denkendes Bewußtsein
ist, d.h. daß er, was er ist und was überhaupt ist, aus sich
selbst
für sich macht.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1), Vorlesungen über
die Ästhetik
Kunst ist das, was Welt wird, nicht, was Welt ist.
Karl Kraus (1, 298)
Nehmt, kann man sagen, der Kunst die Objektivität, so hört sie auf
zu sein, was sie ist, und wird Philosophie; gebt der Philosophie die Objektivität,
so hört sie auf Philosophie zu sein, und wird Kunst. - Die Philosophie
erreicht zwar das Höchste, aber sie bringt bis zu diesem Punkt nur gleichsam
ein Bruchstück des Menschen. Die Kunst bringt den ganzen Menschen, wie
er ist, dahin, nämlich zur Erkenntnis des Höchsten, und darauf beruht
der ewige Unterschied und das Wunder der Kunst.
Friedrich Schelling (2, Bd. 2: 304), System des transzendenten
Idealismus
Es gibt keinen höheren Zweck der Kunst, als in dem Menschen diejenige
Lust zu entzünden, welche sein ganzes Wesen von aller irdischen Qual,
von allem niederbeugenden Druck des Alltagslebens wie von unsaubern Schlacken
befreit und ihn so erhebt, daß er, sein Haupt stolz und froh emporrichtend,
das Göttliche schaut, ja mit ihm in Berührung kommt.
E.T.A. Hoffmann (1, Bd. 1: 215), Nachricht von den neuesten
Schicksalen des Hundes Berganza
Und hier wird auch mit Einem Male die Aufgabe der modernen Kunst deutlich:
Stumpfsinn oder Rausch! Einschläfern oder betäuben! Das Gewissen
zum Nichtwissen bringen, auf diese oder die andere Weise! Der modernen Seele
über das Gefühl von Schuld hinweghelfen, nicht ihr zur Unschuld
zurück verhelfen! Und diess wenigstens auf Augenblicke! Den Menschen
vor sich selber vertheidigen, indem er in sich selber zum Schweigen-müssen,
zum Nicht-hören-können gebracht wird!
Friedrich Nietzsche (2), Unzeitgemäße Betrachtungen:
IV - Richard Wagner in Bayreuth
Das Wesen des genialen Menschen oder vielmehr sein Wirken beruht nicht etwa
in neuen Ideen, sondern in der Überzeugung, daß alles, was vor
ihm getan worden ist, nicht gut genug getan sei.
Eugène Delacroix (1, 15), Tagebuch: 1824
Die Kunst ist nur Kunst, wo sie sich Selbstzweck, wo sie absolut frei, sich
selbst überlassen ist, wo sie keine höheren Gesetze kennt als ihre
eigenen, die Gesetze der Wahrheit und Schönheit.
Ludwig Feuerbach (4, 185)
In der Kunst ist all das Erhabene und Schöne, das Gute und Weise, das
ihr ersehnt, zur Wirklichkeit geworden. Nicht zu einer Wirklichkeit, die ihr
abpflücken und in den Mund stecken, die ihr zählen und in die Tasche
stecken könnt. Dann hättet ihr keine Sehnsucht mehr, und das wäre
das Ende der Menschheit. Aber doch ist es eine Wirklichkeit, die ihr im Hirn
und im Herzen, in Augen und Ohren, in Nase und Zunge, in Händen und Haarwurzeln,
in Blut und allen Nerven und Muskeln eures Leibes mit sinnlicher Gewißheit
fühlt!
Otto Ernst (1), Vom Strande des Lebens: Meersymphonie
Im gewöhnlichen Leben zwar ist man gewohnt, von
schöner
Farbe, einem
schönen Himmel,
schönem Strome, ohnehin
von
schönen Blumen,
schönen Tieren und noch mehr
von
schönen Menschen zu sprechen, doch läßt sich
[...] hiergegen zunächst schon behaupten, daß das Kunstschöne
höher stehe als die Natur. Denn die Kunstschönheit ist
die aus dem Geiste geborene und wiedergeborene Schönheit, und
um soviel der Geist und seine Produktionen höher steht als die Natur
und ihre Erscheinungen, um soviel auch ist das Kunstschöne höher
als die Sch�nheit der Natur.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1, I.), Vorlesungen über
die Ästhetik
Liebe und Kunst umarmen nicht, was schön ist, sondern was eben dadurch
schön wird.
Karl Kraus (1, 334)
Sind wir es denn nicht, die in diesem unentfliehbaren Mechanismus uns den
Rest von Freiheit bewahren, der allein das Leben erträglich macht? Sind
wir es nicht, die der Menschheit die Rettung aus der niederdrückenden
Schwere der Wirklichkeit in das heitere Reich des Ideals allein ermöglichen,
indem wir alle edleren und zarteren Regungen des Gemütes leiten und beherrschen?
Nur durch die Kunst ist es möglich, Stimmung zu erzeugen, das heißt
einen Gesamtzustand unseres Seelenlebens hervorzurufen, in welchem wir in
dem Lustgefühl des in sich abgeschlossenen Empfindens gewissermaßen
erfahren, was es heißt zu sein.
Kurd Laßwitz (1, II.), Im Pyramidenhotel
Die Kämpfe, welche sie zeigt, sind Vereinfachungen der wirklichen Kämpfe
des Lebens; ihre Probleme sind Abkürzungen der unendlich verwickelten
Rechnung des menschlichen Handelns und Wollens. Aber gerade darin liegt die
Größe und Unentbehrlichkeit der Kunst, daß sie den Schein
einer einfacheren Welt, einer kürzeren Lösung der Lebens-Rätsel
erregt. Niemand, der am Leben leidet, kann diesen Schein entbehren, wie Niemand
des Schlafes entbehren kann. Je schwieriger die Erkenntniss von den Gesetzen
des Lebens wird, um so inbrünstiger begehren wir nach dem Scheine jener
Vereinfachung, wenn auch nur für Augenblicke, um so größer
wird die Spannung zwischen der allgemeinen Erkenntniss der Dinge und dem geistig-sittlichen
Vermögen des Einzelnen. Damit der Bogen nicht breche, ist die Kunst da.
Friedrich Nietzsche (2), Unzeitgemäße Betrachtungen:
IV - Richard Wagner in Bayreuth
Der Künstler ist nur ein Aufnahmeorgan, ein Registrierapparat für
Sinnesempfindungen, aber, weiß Gott, ein guter, empfindlicher, komplizierter,
besonders im Vergleich zu den anderen Menschen. Aber wenn er dazwischenkommt,
wenn er es wagt, der Erbärmliche, sich willentlich einzumischen in den
Übersetzungsvorgang, dann bringt er nur seine Bedeutungslosigkeit hinein,
das Werk wird minderwertig.
Paul Cezanne
In der Kunst kommt es nicht darauf an, daß man Eier und Fett nimmt,
sondern daß man Feuer und Pfanne hat.
Karl Kraus (1, 252)
Den Gipfel ihres erreichbar möglichen Nerven-Tonus, ihrer Lebens-Energieen,
ihrer Emotion-Fähigkeit, erreichen die meisten Menschen nur in seltenen
Augenblicken ihres Lebens. Beim Anziehen zum ersten Balle; beim ersten Berühren
einer geliebten Hand; [...] Wir verreisen morgen früh; Er kommt, Er kommt,
Verlobung; unerwartetes Geld, Der Tod geliebter Menschen. Da werden sie momentan
zu inneren Künstlern, zu jauchzenden, jammernden, erbebenden in Freud
und Leid, zu verzehrt werdenden! Aber die Künstler sind
immer
auf diesen Gipfeln.
Alles macht sie erbeben, jauchzen und jammern.
Das Schicksal der Welt tönt in ihnen nach [...]! Fünfzigmal höchstens
während deines Daseins, schlapper unbewegter Mensch, wirst du zu empfindsamen
Künstler-Menschen! Aber dieser ist es ewig, bis zu seiner Sterbestunde,
jauchzend, jammernd! Verzehrt werdend und wieder auferstehend!
Peter Altenberg, Prodomos
Kein großer Künstler sieht die Dinge jemals so, wie sie wirklich
sind. Täte er das, so würde er aufhören ein Künstler zu
sein.
Oscar Wilde (1, 60), Aphorismen
Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch
was er in sich sieht. Sieht er aber nichts in sich, so unterlasse er auch
zu malen, was er vor sich sieht. Sonst werden seine Bilder den Spanischen
Wänden gleichen, hinter denen man nur Kranke und Tote erwartet.
Caspar David Friedrich
Es ist eine ewige seelische Prostitution, und das Beste, was die Kultur hervorbringt,
die Kunst, ist aller Prostitutionen tragischste. Gott Lob, daß ich kein
Künstler bin. Es muß etwas Gräßliches sein, sich von
aller Welt befingern und kennerhaft abtasten lassen zu müssen.
Otto Julius Bierbaum (1, 218f), Pankrazius Graunzer
Ein unter Gemälden verbrachtes Leben macht noch keinen Maler - sonst
könnte der Garderobendiener in der Nationalgalerie seine Kunst sehen
lassen.
James Whistler
Wer mir sagen kann, warum ein Bild schön ist, dem bezahle ich eine Flasche!
Edgar Degas
Ein Trostgeschenk Gottes an die Menschheit ist die Kunst, ein Vorgeschmack
unsrer Vollendung. Ein Künstler ist ein Mensch, der selige Sinne hat.
Seine Sinne hören aus Felsen und Bäumen Worte und Töne eines
höheren Lebens, und sie sehen in Worten und Tönen Bäume und
Felsen einer beglückteren Welt. Und sein Auge vermag hunderttausend Augen
aufzutun, daß sie wie er die stillgeschäftigen Geister ahnen, die
über Berg und Tal die Schleier eines neuen Lichtes weben.
Otto Ernst (1), Vom Strande des Lebens: Meersymphonie
Welch ewiger Kreislauf von Anstrengungen und Thätigkeit ist doch mein
Leben. Soll da nicht die Maschine bald zu Grunde gehn? [...] Manchmal ist
es unerträglich wie man durch diese Beweise von Achtung und Andrängen,
Bitten pp Ehrenbezeugungen und dergl: gequält wird, und die Geduld so
reißt, daß man alle maßakriren könnte. Aber das sind
nur Augenblicke wo man rabbiat wird. Der Künstler ist einmal zum Märtirer
des geselligen Lebens erkohren, und wohl dem der sein Bestimmung erfüllt.
Carl Maria von Weber (1, 108f), Brief an Caroline Brandt:
Berlin, 3. September 1814
Wenn ein Künstler das Pech hat, von der Leidenschaft erfüllt zu
sein, die er ausdrücken will, so kann er sie nicht schildern, denn er
ist die Sache selber, anstatt ihr Abbild zu sein. Die Kunst entspringt dem
Gehirn und nicht dem Herzen. Wer von seinem Thema beherrscht wird, ist dessen
Sklave und nicht dessen Herr.
Honoré de Balzac, Massimilla Doni
Mag sein, daß alle Kunstwerke in erster Linie nach ihren künstlerischen
Qualitäten beurteilt werden müssen, nach ihrer Gestaltungskraft,
ihren dramatischen oder malerischen Fähigkeiten, ihrer Kunst, eine Handlung
zu schüren. Aber wenn sie den Anspruch erheben, Werke ersten Ranges zu
sein, so müssen sie streng und scharf danach beurteilt werden, ob sie
- im höchsten Sinn und immer nur mittelbar - in den ethischen Prinzipien
wurzeln und deren Ausstrahlung sind und ob sie Kraft haben, zu befreien, zu
erheben, zu erweitern.
Walt Whitman
Ein Kunstwerk ist gut, wenn es aus Notwendigkeit entstand. In dieser Art seines
Ursprungs liegt sein Urteil: es gibt kein anderes. Darum, sehr geehrter Herr,
wußte ich Ihnen keinen Rat als diesen: in sich zu gehen und die Tiefen
zu prüfen, in denen Ihr Leben entspringt; an seiner Quelle werden Sie
die Antwort auf die Frage finden, ob Sie schaffen müssen.
Rainer Maria Rilke, Brief an Franz Xaver Kappus, 17. Februar
1903
In dieser ihrer Freiheit nun ist die schöne Kunst erst wahrhafte Kunst
und löst dann erst ihre höchste Aufgabe, wenn sie sich in den
gemeinschaftlichen Kreis mit der Religion und Philosophie gestellt hat und
nur eine Art und Weise ist, das
Göttliche, die tiefsten Interessen
des Menschen, die umfassendsten Wahrheiten des Geistes zum Bewußtsein
zu bringen und auszusprechen. [...] Es ist die Tiefe einer
übersinnlichen
Welt, in welche der
Gedanke dringt und sie zunächst als
ein
Jenseits dem unmittelbaren Bewußtsein und der gegenwärtigen
Empfindung gegenüber aufstellt; es ist die Freiheit denkender Erkenntnis,
welche sich dem
Diesseits, das sinnliche Wirklichkeit und Endlichkeit
heißt, enthebt.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1, II.), Vorlesungen über
die Ästhetik
Als ob man sich fürchtete, an sich selber durch Ekel und Stumpfheit zu
Grunde zu gehen, ruft man alle bösen Dämonen auf, um sich durch
diese Jäger wie ein Wild treiben zu lassen: man lechzt nach Leiden, Zorn,
Hass, Erhitzung, plötzlichem Schrecken, athemloser Spannung und ruft
den Künstler herbei als den Beschwörer dieser Geisterjagd. Die Kunst
ist jetzt in dem Seelen-Haushalte unserer Gebildeten ein ganz erlogenes oder
ein schmähliches, entwürdigendes Bedürfniss, entweder ein Nichts
oder ein böses Etwas. Der Künstler, der bessere und seltenere, ist
wie von einem betäubenden Traume befangen, diess Alles nicht zu sehen,
und wiederholt zögernd mit unsicherer Stimme gespenstisch schöne
Worte, die er von ganz fernen Orten her zu hören meint, aber nicht deutlich
genug vernimmt; der Künstler dagegen von ganz modernem Schlage, kommt
in voller Verachtung gegen das traumselige Tasten und Reden seines edleren
Genossen daher und führt die ganze kläffende Meute zusammengekoppelter
Leidenschaften und Scheusslichkeiten am Strick mit sich, um sie nach Verlangen
auf die modernen Menschen loszulassen: diese wollen ja lieber gejagt, verwundet
und zerrissen werden, als mit sich selber in der Stille beisammenwohnen zu
müssen.
Friedrich Nietzsche (2), Unzeitgemäße Betrachtungen:
IV - Richard Wagner in Bayreuth
Diese Rolle eben, welche die Künstler jetzt spielen, werden künftighin
die Physiologen übernehmen. Wenn ihr mit euren Kunstwerken die Menschen
in eine Stimmung versetzen wollt, kommt ihr mir vor wie ein Arzt, der die
Aufgabe hat, einen Patienten von einer unverdaulichen Speise zu befreien,
und ihn zu diesem Zwecke eine Seereise unternehmen läßt, damit
er die Seekrankheit bekomme. Wie würde dir ein solcher Arzt gefallen?
Du würdest sagen, warum gibt der Mann nicht lieber ein direktes Brechmittel?
Ihr Künstler seid in derselben Lage, nur kennt ihr eben das einfache,
von innen wirkende Mittel nicht. Wir werden es auffinden, das heißt,
wir werden zeigen, wie man das Gehirn unmittelbar in jenen Zustand versetzen
kann, den ihr nach großer Mühe vermittels der Sinne durch eure
Kunstwerke hervorzurufen versucht.
Kurd Laßwitz (1, II.), Im Pyramidenhotel