Das Leben ist eine merkwürdige, mysteriöse und eigentlich stupide
ewige unentrinnbare Sehnsucht, am Leben zu bleiben, solange als nur irgendmöglich!
Wozu, weshalb, Niemand weiß es.
Peter Altenberg (1, 187), Die Lebensmaschinerie
Sehnsucht macht die Dinge und die Menschen unwirklich. Darum ist alles Erreichte
so anders als das Ersehnte. Nicht schlechter oder besser, aber anders.
Arthur Schnitzler (3, 91), Aphorismen
Jene, die ihre Sehnsucht zu zügeln wissen, können das nur, weil
ihre Sehnsucht schwach genug ist, beherrscht zu werden.
William Blake
Sehnsucht haben heißt so heißes Blut kriegen, daß alles
ringsum verdorrt.
Max Dauthendey (2, 121f), Die acht Gesichter am Biwasee
Was wir vergessen, töten wir, wessen wir gedenken, das beleben wir. Was
uns vergißt, das tötet uns. Jede Sehnsucht ist Begierde zu bilden,
zu gebären, jede Erinnerung ist eine Wiedergeburt.
Bettina von Arnim (2, 144), Frühlingskranz
Eine schluchzende Sehnsucht mein Frühling,
ein heisses Ringen mein Sommer
wie wird mein Herbst sein?
Ein spätes Garbengold?
Ein Nebelsee?
Arno Holz (2, 55), Phantasus
Die Sehnsucht ist es, die unsere Seele nährt und nicht die Erfüllung;
und der Sinn des Lebens ist der Weg und nicht das Ziel. Denn jede Antwort
ist trügerisch, jede Erfüllung zerfließt uns unter den Händen,
und das Ziel ist keines mehr, sobald es erreicht wurde.
Arthur Schnitzler (3, 39), Aphorismen
Der Atem einer Frau muss dich
seelisch beglücken können,
der Duft ihrer Bluse und jedes Kleidungsstückes überhaupt. Alles
an ihr muss
märchenhaft wirken, wirklich etwas Zauberhaftes. In
einem Meer von Sehnsucht musst du zu ertrinken wähnen, Tag und Nacht.
Die Sehnsucht muss dich krank machen, noch kranker und noch kranker; und dann
fast irrsinnig. Dann, dann erst öffne die Schleusen, erlöse und
begatte dich! Dann erst! Vor den
schrecklichen Toren des Irrsinns musst
du stehen können und warten! Früher hast du kein Anrecht auf Seligkeit!
Peter Altenberg, Prodomos
Unsere Wünsche sind Vorgefühle der Fähigkeiten, die in uns
liegen, Vorboten desjenigen, was wir zu leisten imstande sein werden. Was
wir können und möchten, stellt sich unserer Einbildungskraft außer
uns und in der Zukunft dar; wir fühlen eine Sehnsucht nach dem, was wir
schon im stillen besitzen. So verwandelt ein leidenschaftliches Vorausergreifen
das wahrhaft Mögliche in ein erträumtes Wirkliche.
Johann Wolfgang von Goethe (4, 386), Aus meinem Leben.
Dichtung und Wahrheit
Jede Freude füllt, jeder Schmerz leert dich, aber in jener hat noch Sehnsucht
Platz, in diesem noch Zuversicht.
Jean Paul, Bemerkungen über uns närrische Menschen:
Bd. 2, Februar 1793
Die See rauscht, und mein Blut rauscht noch lauter, ich bin fast krank vor
Sehnsucht. Ich hoffe, ich überstehe diese Zeit; wenn nicht, dann bringt
mich die Sehnsucht um. [...] Ich halte es nur aus, wenn ich denke, ich bin
auf der Heimreise. [...] Das ist mir alles so gleichgültig, seit ich
diesen Sehnsuchtsbazillus nach Dir in mich bekommen habe. Ich glaube, ich
könnte vor Liebe und Sehnsucht das salzige Meer austrinken, es wäre
nicht so bitter als die Bitterkeit in mir.
Max Dauthendey (3, 109f), Brief an seine Frau Annie: Bengalisches
Meer, 3. März 1906
Euer Blick nach fernen Meeren, eure Begierde, den Felsen und seine Spitze
zu betasten - eine Sprache ist es nur für eure Sehnsucht. Menschen sucht
nur euer Blick und eure Begierde, und das, was mehr ist als Mensch!
Friedrich Nietzsche (10, 13[1]), Nachlass: Fragmente Sommer
1883
Sind nicht [...] alle die geheimsten und tiefsten Zustände unseres Inneren
in der seltsamsten Weise mit einer Landschaft verflochten, mit einer Jahreszeit,
mit einer Beschaffenheit der Luft, mit einem Hauch? Eine [...] schwüle
sternlose Sommernacht; der Geruch feuchter Steine in einer Hausflur; das Gefühl
eisigen Wassers, das aus einem Laufbrunnen über deine Hände sprüht:
an ein paar tausend solcher Erdendinge ist dein ganzer innerer Besitz geknüpft,
alle deine Aufschwünge, alle deine Sehnsucht, alle deine Trunkenheiten.
Mehr als geknüpft: mit den Wurzeln ihres Lebens festgewachsen daran,
daß - schnittest du sie mit dem Messer von diesem Grunde ab, sie in
sich zusammenschrumpften und dir zwischen den Händen zu nichts vergingen.
Wollen wir uns finden, so dürfen wir nicht in unser Inneres hinabsteigen:
draußen sind wir zu finden, draußen. Wie der wesenlose Regenbogen
spannt sich unsere Seele über den unaufhaltsamen Sturz des Daseins. Wir
besitzen unser Selbst nicht: von außen weht es uns an, es flieht uns
für lange und kehrt uns in einem Hauch zurück. [...] Regungen kehren
zurück, die schon einmal früher ins uns genistet haben. Und sind
sies auch wirklich selber wieder? Ist es nicht vielmehr nur ihre Brut, die
von einem dunklen Heimatgefühl hierher zurückgetrieben wird? Genug,
etwas kehrt wieder. Und etwas begegnet sich in uns mit anderem. Wir sind nicht
mehr als ein Taubenschlag.
Hugo von Hofmannsthal (4, 159f), Das Gespräch über
Gedichte
Worin, glaubt ihr, liegt die Größe der Stürme und Verheerungen,
der verlustreichen Schlachten und Schiffbrüche, der wildesten Wut der
Elemente und der Gewalt des Meeres und der Kreislauf der Natur, der tiefen
Schmerzen menschlichen Sehnens, der Würde, des Hasses und der Liebe?
Es ist jenes Etwas in der Seele, das uns sagt: Wüte weiter, wirble fort
und fort, wandle hier und überall als Herr - Herr über Zuckungen
des Himmels und des Meeres Zerschmettern, Herr über Natur und Leidenschaft
und Tod, über alle Schrecknisse, alle Qual.
Walt Whitman (1, 16), Grashalme
Draußen in den Reisfeldern rauschen tausend Bäche in der Nacht.
[...] Die Grillen singen so laut und rasend, ein ganz wildes verrücktes
Getriller, das wie ein zweites Konzert neben dem Konzert der Wasserfälle
im Stockdunkeln vor meiner Veranda musiziert, über die weite, weite Nachtlandschaft
hin ausgebreitet. Und dabei muß ich denken, daß diese Millionen
Grillenmännchen da draußen ihre Flügel nur deshalb mit den
Hinterbeinen wetzen, weil sie ihre Weibchen locken. Und ich locke doch auch
so lange Monate schon. In Laute umgesetzt, müßte mein Sehnsuchtstriller
das Kreischen des Weltenrades überbieten, meine ich.
Max Dauthendey (3, 265), Brief an seine Frau Annie: Java,
21. März 1915
Die Szenen unsers Lebens gleichen den Bildern in grober Musaik, welche in
der Nähe keine Wirkung tun, sondern von denen man fern stehen muß,
um sie schön zu finden. Daher heißt
>etwas
Ersehntes erlangen
< dahinterkommen, daß es
eitel ist, und leben wir allezeit in der Erwartung des Besseren, auch oft
zugleich in reuiger Sehnsucht nach dem Vergangenen. Das Gegenwärtige
hingegen wird nur einstweilen so hingenommen und für nichts geachtet
als für den Weg zum Ziel. Daher werden die meisten, wenn sie am Ende
zurückblicken, finden, daß sie ihr ganzes Leben ad interim gelebt
haben und verwundert sein, zu sehn, daß das, was sie so ungeachtet und
ungenossen vorübergehn ließen, eben ihr Leben war, eben das war,
in dessen Erwartung sie lebten.
Arthur Schopenhauer (4, Bd. V: 336 f), Parerga und Paralipomena
II
Was man am meisten ersehnt, erfüllt sich nicht, und wenn es eintrifft,
dann nicht zu der Zeit noch unter den Umständen, wo es die größte
Freude bereitet hätte.
Jean de La Bruyère (1, 81), Die Charaktere oder
Die Sitten des Jahrhunderts
Zu späte Erfüllung einer Sehnsucht labt nicht mehr. Die lechzende
Seele zehrt sie auf wie glühendes Eisen einen Wassertropfen.
Marie von Ebner-Eschenbach (1, 8), Aphorismen
Es sprechen Manche: sie hätten's nicht.
Da erwidere ich: das ist mir leid.
Ersehnst du es aber auch nicht,
das ist mir noch leider.
Könnt ihr es denn nicht haben,
so habt wenigstens ein Sehnen danach!
Mag man auch das Sehnen nicht haben,
so sehne man sich doch wenigstens nach der Sehnsucht!
Meister Eckhart (1), Predigten
Wir sehnen uns nach der Wahrheit und finden in uns nur Ungewißheit.
Wir streben nach dem Glück und finden nur Elend und Tod. Wir sind unfähig,
uns nicht nach Wahrheit und Glück zu sehnen, und wir sind der Gewißheit
wie des Glücks unfähig. Dieses Verlangen ist uns erhalten geblieben,
um uns empfinden zu lassen, von welchem Ort wir herabgesunken sind.
Blaise Pascal (1, Pensèe 401), Gedanken
nur durch Ruhiges beschauen unsres Dasejns können wir unsern Zweck zusammen
zu leben erreichen - sej ruhig - liebe mich - heute - gestern - Welche Sehnsucht
mit Thränen nach dir - dir - dir - mein Leben - mein alles - leb wohl
- o liebe mich fort - verken nie das treuste Herz deines Geliebten L.
Ludwig van Beethoven (1, 80), An die "Unsterbliche
Geliebte", guten Morgen am 7. Juli (1812)
Wir fieberhaften, von eignen und von fremden Mängeln abgetriebnen und
von ewigem Sehnen wieder zusammengeführten Menschen, in welchen eine
Hoffnung von fremder Liebe nach der andern verdurstet, und in denen die Wünsche
nur zu Erinnerungen werden!
Jean Paul (3, Kap. 16), Siebenkäs
Suchen wir etwas, das nicht nur gut scheint, sondern gehaltvoll ist und sich
gleichbleibt und auf der Seite, die man nicht sieht, noch schöner ist.
Das wollen wir aufsuchen; und es liegt nicht so weit ab, man kann es finden;
wissen muß man nur, wo man hingreifen muß. Jetzt gehen wir wie
in Finsternis am Nächstliegenden vorüber und rennen gerade gegen
das an, was wir ersehnen.
Seneca (1, 66), Vom glückseligen Leben
Offenbare mir, was du wahrhaftig liebst, was du mit deinem ganzen Sehnen suchest
und anstrebest, wenn du den wahren Genuss deiner selbst zu finden hoffest
- und du hast mir dadurch dein Leben gedeutet. Was du liebest, das lebest
du. Diese angegebene Liebe eben ist dein Leben, und die Wurzel, der Sitz und
der Mittelpunkt deines Lebens.
Johann Gottlieb Fichte (1, Bd. 5: 403), Die Anweisung zum
seligen Leben