Leben ist die Suche des Nichts nach dem Etwas.
Christian Morgenstern (2), Stufen. Weltbild: Anstieg, 1905
Dies ist, glaube ich, die Fundamentalregel alles Seins:
<Das
Leben ist gar nicht so. Es ist ganz anders.
>
Kurt Tucholsky (1, Bd. 4: 188), Gesammelte Werke in 10
Bänden
Niemals etwas tun - was ein anderer für uns tun kann. Alle Kraft
sparen für das, was
nur wir tun können.
Prentice Mulford (1, 130), Unfug des Lebens und des Sterbens
Das Leben ist beschneites Feuerwerk.
Friedrich Hebbel (1, [3423]), Tagebücher 1843-1847
Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.
Rainer Maria Rilke (4, 1.Buch), Das Stunden-Buch
Leben bedeutet überall Leben, das Leben ist in uns selbst und nicht im
Äußerlichen. Ich werde Menschen neben mir haben, und unter Menschen
Mensch zu sein und für immer zu bleiben, den Mut nicht zu verlieren
und sich vom Unglück, so groß es auch sein mag, nicht unterkriegen
lassen - das ist der Sinn des Lebens und die Aufgabe.
Fjodor M. Dostojewski (2, Bd. 1: 90), Brief an seinen Bruder
Michail, 22. Dezember 1849
Was ist das Leben? Die Wanderschaft eines Lahmen und Kranken, welcher mit
einer schweren Last auf dem Rücken die steilsten Berge und unwegsamsten
Gebiete bei Schnee und Eis, Regen und Wind, unter brennender Sonne bei Tag
und Nacht überquert, ohne sich jemals Ruhe zu gönnen, und viele
Tagereisen zurücklegt, um schließlich an einen Abgrund, an eine
Schlucht zu gelangen und dort unweigerlich in die Tiefe zu stürzen.
Giacomo Leopardi (1, 535), Das Gedankenbuch
Was ist des Menschen Leben? Ein Schwanken hierhin - dorthin - von Sorge zu
Sorge. Ein Loch stopft man zu, - ein anderes ist gleich wieder da.
Laurence Sterne (1, Bd. 1: 314), Tristram Shandy
Die Wahrheit ist: das Leben ist entzückend, schrecklich, charmant, grauenvoll,
süß, bitter, und das ist alles.
Anatole France
Wir leben nur, um Schönheit zu entdecken. Alles andere ist eine Art des
Wartens.
Khalil Gibran (1, 31), Sand und Schaum
Das Leben ist für uns alle unsagbar schwer, tückisch und grenzenlos
übelwollend: im Ertragen liegt alles Schöne und Wertvolle. Und ein
bißl was nützt einem vielleicht, daß man andere hat, die
einem ertragen zuschauen und gut genug sind, das Schwere zu verstehen, und
deren Teilnahme einen Sinn hat.
Hugo von Hofmannsthal (3, 113), Brief an Edgar Freiherrn
Karg von Bebenburg, 21. August 1894
Das Leben ist eine Anstrengung, die einer besseren Sache würdig wäre.
Karl Kraus (1, 314)
Man wird dumm inmitten von Schmerz und Geschrei geboren; man ist der Spielball
der Unwissenheit, des Irrtums, der Bedürfnisse, der Krankheiten, der
Bosheit und der Leidenschaften; vom Augenblick der ersten Stammelns bis hin
zum Greisengefasel lebt man inmitten von Schurken und Scharlatanen jeglicher
Art; zwischen einem Mann, der einem den Puls fühlt, und jenem anderen,
der einem den Kopf verwirrt, haucht man sein Leben aus; man weiß nicht,
woher man kommt, warum man gekommen ist, wohin man geht - und dies wird als
das größte Geschenk unserer Eltern und der Natur bezeichnet, als
das Leben.
Denis Diderot (1, 216), Brief an Sophie Volland, 26. September
1762
Solange ein Mensch lebt, hat er noch Hoffnung, und ein lebender Hund ist immer
noch besser als ein toter Löwe. Die Lebenden wissen wenigstens, daß
sie einmal sterben müssen. Die Toten wissen überhaupt nichts mehr.
Ihre Verdienste werden nicht belohnt; denn niemand denkt mehr an sie. Ganz
gleich, ob sie einst Liebe, Haß oder Eifersucht erregt haben, alles
ist aus und vorbei. Sie haben auf ewig keinen Anteil mehr an dem, was unter
der Sonne geschieht. Darum iß dein Brot und trink deinen Wein und sei
fröhlich dabei! [...] Nimm das Leben als ein Fest: [...] Genieße
jeden Tag [...] Denn das ist der Lohn für die Mühsal des Lebens.
Nutze alle Möglichkeiten, die sich dir bieten; denn du bist unterwegs
zu dem Ort, von dem keiner wiederkehrt. Wenn du tot bist, ist es zu Ende mit
allem Tun und Planen, mit aller Einsicht und Weisheit.
Die Bibel (1, 604), Kohelet 9,4-10
Das Leben selbst ist ein Meer voller Klippen und Strudel, die der Mensch mit
der größten Behutsamkeit und Sorgfalt vermeidet, obwohl er weiß,
daß, wenn es ihm auch gelingt, mit aller Anstrengung und Kunst sich
durchzuwinden, er eben dadurch mit jedem Schritt dem größten, dem
totalen, dem unvermeidlichen und unheilbaren Schiffbruch näher kommt,
ja gerade auf ihn zusteuert, - dem Tode: dieser ist das endliche Ziel der
mühseligen Fahrt und für ihn schlimmer als alle Klippen, denen er
auswich.
Arthur Schopenhauer (3, Bd. 2: 391), Die Welt als Wille
und Vorstellung
Das Leben ist ein Schiffbruch; rette sich wer kann!
Voltaire (3, 83), Aphorismen und Gedankenblitze
Die Dauer des menschlichen Lebens ist ein Augenblick, das Wesen ein beständiger
Strom, die Empfindung eine dunkle Erscheinung, der Leib eine verwesliche Masse,
die Seele ein Kreisel, das Schicksal ein Rätsel, der Ruf etwas Unentschiedenes.
Kurz, was den Körper betrifft, ist es ein schneller Fluß, was die
Seele angeht, Träume und Dunst, das Leben ist ein Krieg, eine Haltestelle
für Reisende, der Nachruhm ist Vergessenheit.
Marc Aurel (1, 21), Selbstbetrachtungen
Jeder Mensch ist im Grunde gescheiter wie der andere, nur will dies keiner
von ihnen glauben. Die Ecke des einen greift in die Fuge des andern, und so
entsteht die seltsame Maschinerie, die wir das menschliche Leben nennen. Verachtung
und Verehrung, Stolz und Eitelkeit, Demut und Eigensinn: alles eine blinde,
von Notwendigkeiten umgetriebene Mühle, deren Gesause in der Ferne wie
artikulierte Töne klingt. Vielleicht ist es keinem Menschen gegeben,
alles aus dem wahren Standpunkte zu betrachten, weil er selbst irgendwo als
umgetriebenes und treibendes Rad steckt.
Ludwig Tieck (1, 398), William Lovell
Wir sind nicht lebendiger als die Puppen im Hanskasperltheater, man spielt
mit uns, und wir wissen nichts vom nächsten Akt des Spieles und nichts
vom Schluß. Der Schicksalsgott hat seinen Finger in unserem Kopf stecken
und seine Hand in unserem Leib, und er bewegt uns, und wir glauben an Eigenbewegung!
Max Dauthendey (3, 398), Brief an seine Frau Annie: 14.
März 1916
Das Leben ist das Allerlustigste und Lächerlichste, was man sich denken
kann; alle Menschen tummeln sich wie klappernde Marionetten durcheinander,
und werden an plumpen Drähten regiert, und sprechen von ihrem freien
Willen.
Ludwig Tieck (1, 441), William Lovell
Ist das Leben vielleicht nur ein Verbrennen, ein Ausglühen, ein Wegzehren
der Empfänglichkeit für Schmerz und Lust? Ist alles, was als ruhiges
Element, als Erde und Stein, uns umgibt, schon lebendig gewesen? Werden auch
wir Erde und Stein und ist die Geschichte zu Ende, wenn alles ruht und schweigt?
Friedrich Hebbel (1, [2618]), Tagebücher 1835-1843
Der Mensch lebt, um seine Pflicht zu tun und zu sterben. Und das zweite beständig
gegenwärtig zu haben erleichtert einem das erste.
Theodor Fontane (1, 441), Cécile
Nicht der Mensch hat am meisten gelebt, welcher die höchsten Jahre zählt,
sondern derjenige, welcher sein Leben am meisten empfunden hat.
Jean-Jaques Rousseau (2, Bd. 1: 25), Emil oder Über
die Erziehung
Das Leben hat keinen anderen Zweck, als daß sich der Mensch in seinen
Kräften, Mängeln und Bedürfnissen kennenlernen soll. Wenigstens
ist dies der einzige Zweck, der immer erreicht wird, das Leben mag nun sein,
wie es will.
Friedrich Hebbel (1, [1093]), Tagebücher 1835-1843
Das einzige, was der Mensch zu seiner Freude tun kann, ist, daß er sein
Leben genießt, solange er es hat.
Die Bibel (1, 599f), Kohelet 3,12
Man steht im Leben immer wieder vor der Wahl, es sich selbst leicht und den
anderen schwer zu machen - oder umgekehrt. Aber
hat man denn die Wahl?
Arthur Schnitzler (3, 182), Aphorismen
An seinen Idealen
zugrundegehen können, heißt
lebensfähig
sein!
Peter Altenberg (2, 109), Diogenes in Wien
Erwarte nichts. Heute: das ist dein Leben.
Kurt Tucholsky (1, Bd. 9: 289), Gesammelte Werke in 10
Bänden
Wenn man die Menschen am Abend ihr Brutterbrot essen sieht, so kann die Bemühung
das Leben zu erklären, sehr lächerlich erscheinen. Butter und Brot
erklären alles.
Friedrich Hebbel (1, [38]), Tagebücher 1835-1843
Aber weil Hiersein viel ist, und weil uns scheinbar alles das Hiesige braucht,
dieses Schwindende, das seltsam uns angeht. Uns, die Schwindendsten. Ein Mal
jedes, nur ein Mal. Ein Mal und nichtmehr. Und wir auch ein Mal. Nie wieder.
Aber dieses ein Mal gewesen zu sein, wenn auch nur ein Mal: irdisch gewesen
zu sein, scheint nicht widerrufbar.
Rainer Maria Rilke (1, 9.), Duineser Elegien
Wie bald, und du bist Asche und Knochengerippe und nur noch ein Name [...]
Und die geschätztesten Güter des Lebens sind eitel, modernd, unbedeutend,
Hunden gleich, die sich herumbeißen, und Kindern, die sich zanken, bald
lachen und dann wieder weinen. [...] Was gibt es also, das dich hier unten
zurückhält? Alles Sinnliche ist ja so wandelbar und unbeständig,
die Sinne selbst sind aber voll trüber Eindrücke und leicht zu täuschen,
und das Seelchen ist selbst nur ein Aufdampfen des Blutes. [...] Warum siehst
du also nicht gelassen deinem Erlöschen oder deiner Versetzung entgegen?
Bis aber dieser Zeitpunkt sich einstellt, was bleibt übrig? Was anders,
als die Götter zu ehren und zu preisen, den Menschen aber wohlzutun und
sie zu dulden oder auch zu meiden und zu bedenken, daß alles, was außerhalb
der engen Grenzen deines Fleisches und Geistes liegt, weder dir gehört
noch von dir abhängt.
Marc Aurel (1, 58), Sebstbetrachtungen
Ach, was ist alles dies, was wir vor köstlich achten,
als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind,
als eine Wiesenblum', die man nicht wiederfind't.
Noch will, was ewig ist, kein einzig Mensch betrachten!
Andreas Gryphius (1, 82f), Es ist alles eitel
Das Gute tun, das Wahre erkennen, das ist es, was einen Menschen vom anderen
unterscheidet. Der Rest ist nichts. Das Leben ist so kurz, seine wahre Bedürfnisse
sind so gering, und wenn man scheidet, bedeutet es so wenig, ob man jemand
oder ob man niemand war. Am Ende braucht man nur ein schlechtes Tuch und vier
Fichtenbretter.
Denis Diderot (1, 74), Brief an Sophie Volland, 3. November1759
Wie leer und bedeutungslos ist das Leben! - Man begräbt einen Menschen,
begleitet ihn zu Grabe, wirft drei Spaten voll Erde auf seinen Sarg. Dabei
fährt man in der Kutsche hinaus, fährt in der Kutsche nach Haus,
und tröstet sich damit, daß noch ein langes Leben vor einem liege.
Wie lang ist es denn, wenn's auf 7x10 Jahre hinauskommt? Warum macht man's
nicht lieber auf einmal ab? warum bleibt man nicht draußen und steigt
mit hinab ins Grab, und wirft das Los darüber, wem das Unglück widerfahren
soll, der Letztlebende zu sein, welcher die letzten drei Spatenwürfe
besorge für den letzten Toten?
Søren Kierkegaard (1, 28f), Entweder-Oder
Wir sind alle lebendig begraben und wie Könige in drei- oder vierfachen
Särgen beigesetzt, unter dem Himmel, in unsern Häusern, in unsern
Röcken und Hemden. - Wir kratzen fünfzig Jahre lang am Sargdeckel.
Ja, wer an Vernichtung glauben könnte! dem wäre geholfen. - Da ist
keine Hoffnung im Tod; er ist nur eine einfachere, das Leben eine verwickeltere,
organisiertere Fäulnis, das ist der ganze Unterschied!
Georg Büchner (2, 67), Dantons Tod
Seltsames Los des Menschen! Er lebt 70 Jahr und meint, etwas Neues und Niedagewesenes
während dieser Zeit zu sein - und doch ist er nur eine Welle, in der
die Vergangenheit der Menschen sich fortbewegt, und er arbeitet immer an einem
Werke von ungeheurer Zeitdauer, so sehr er sich auch als Tagesfliege fühlen
mag. Denn: er hält sich für frei, und ist doch nur ein aufgezogenes
Uhrwerk, ohne Kraft, dieses Werk auch nur deutlich zu sehen, geschweige denn,
es zu ändern, wie und worin er wollte.
Friedrich Nietzsche (10, 21[12]), Nachlass: Fragmente Sommer
1882
Man kan tun, was man will, es hat alles keinen Sinn. Man müht und plagt
sich sein Leben lang, und was hat man davon? Die Generationen kommen und gehen;
nur die Erde bleibt, wie sie ist. Die Sonne geht auf, sie geht unter, und
dann wieder von vorn, immer dasselbe. [...] Alle Flüsse fließen
ins Meer, aber das Meer wird nicht voll. Das Wasser kehrt zu den Quellen zurück,
und wieder fließt es ins Meer. Alles verändert sich so schnell,
daß man mit dem Hören und Sehen gar nicht nachkommen kann; und
es in Worte zu fassen ist erst recht unmöglich. Und doch bleibt es dabei:
Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Was gewesen ist, das wird wieder sein;
was getan wurde, das wird wieder getan.
Die Bibel (1, 598), Kohelet 1,2-9
Weiß der Himmel: oft scheint mir, das Leben hat nur den Sinn, sich hier
unten die passende Gesellschaft fürs Jenseits auszusuchen. Mir wenigstens
ergeht es so. Das Alleinsein ist vielleicht gar nicht meine Sache, aber ich
mag nicht mit Jedermann gehen. [...] So will ich meine Gesellschaft wählen,
eine Gesellschaft, die auftaucht, wenn alles vorüber sein wird. [...]
Wartend will ich im Hinterhalt liegen und keiner soll mich im Warten übertreffen.
Dich, mein Kind, habe ich ja auch so gefangen. Ich bin eine große Spinne
[...]
Hugo Ball (2, 131), Brief an seine Frau Emmy, 23. November
1923
Das Leben hört nicht einfach auf an einem bestimmten Ort, May, und dieser
großartige Lebensreigen mit all seiner Schönheit muß ununterbrochen
weiterziehen von einer Ewigkeit zur anderen. Und wir beide, May, die wir das
Leben heiligen und mit all unseren Kräften danach streben, was recht,
segensreich, schön und edel ist, wir, die wir hungern und dürsten
nach dem Bleibenden und Ewigen im Leben, wir wollen weder sagen noch tun,
was die Angst hervorbringt, was die Seele mit Dornen und den Geist mit Bitterkeit
erfüllt. [...] Und wenn wir etwas lieben, May, so halten wir die Liebe
für ein Ziel in sich und nicht für ein Mittel, das wir einsetzen,
um etwas anderes zu erreichen. [...] Und wenn wir uns nach etwas sehnen, so
ist die Sehnsucht selbst für uns eine Gabe und eine Gnade. [...]
Wir beide - Du und ich - wir können nicht vor dem Angesicht der Sonne
stehen und sagen: Wir müssen unserer Seele Qualen ersparen! Wir können
sie gut entbehren! Nein, May, wir können nicht auf das verzichten, was
die Seele wie ein heiliger Sauerteig durchsetzt. [...] Wir können nicht
auf das verzichten, was uns unserem größerem Ich näherbringt
und uns zeigt, was es in unseren Seelen an Kräften, Geheimnissen und
Wundern gibt.
Khalil Gibran (1, 70), Brief an May Ziadeh, 11. Januar
1921
Freilich ist das Leben arm und einsam. Wir wohnen hier unten, wie der Diamant
im Schacht. Wir fragen umsonst, wie wir herabgekommen sind, um wieder den
Weg hinauf zu finden. Wir sind wie Feuer, das im dürren Aste oder im
Kiesel schläft, und ringen und suchen in jedem Moment das Ende der engen
Gefangenschaft. Aber sie kommen [...] die Augenblicke der Befreiung, wo das
Göttliche den Kerker sprengt, wo die Flamme vom Holz sich löst und
siegend emporwallt über der Asche, ha! wo uns ist, als kehrte der entfesselte
Geist, vergessen der Leiden, der Knechtsgestalt, im Triumphe zurück in
die Hallen der Sonne.
Friedrich Hölderlin (2, 82), Hyperion an Bellarmin
Das Leben besteht aus seltenen einzelnen Momenten von höchster Bedeutsamkeit
und unzählig vielen Intervallen, in denen uns besten Falls die Schattenbilder
jener Momente umschweben. Die Liebe, der Frühling, jede schöne Melodie,
das Gebirge, der Mond, das Meer - Alles redet nur einmal ganz zum Herzen:
wenn es überhaupt je ganz zu Worte kommt. Denn viele Menschen haben jene
Momente gar nicht und sind selber Intervalle und Pausen in der Symphonie des
wirklichen Lebens.
Friedrich Nietzsche (7, 586.), Menschliches, Allzumenschliches:
Neuntes Hauptstück - Der Mensch mit sich allein
Wir sind unter der Bedingung geboren, das zu sein, was wir wollen.
Giovanni Pico Della Mirandola
Es gibt zwei große Lebensregeln, eine allgemeine und eine besondere.
Die erste besagt, daß jeder schließlich erreichen kann, was er
will, wenn er es nur versucht. Das ist die allgemeine Regel. Die besondere
Regel ist, daß jeder einzelne mehr oder weniger eine Ausnahme von der
allgemeinen Regel ist.
Samuel Butler (1, 11), The Note-Books
Merke dir vor allem zwei Wahrheiten: Erstens, daß die Außenwelt
deine Seele nicht berühren kann, sondern immer unbeweglich draußen
steht, also Störungen deines inneren Friedens nur aus deiner Einbildung
entstehen; und zweitens, daß alles, was du siehst, sich schnell verändert
und nicht mehr sein wird. Und wie vieler Veränderungen Augenzeuge bist
du nicht selbst schon gewesen! Die Welt ein ewiger Wechsel, das Leben ein
Wahn!
Marc Aurel (1, 31f), Selbstbetrachtungen
Wir halten uns nie an die Gegenwart. Wir rufen uns die Vergangenheit zurück;
wir greifen der Zukunft vor, als käme sie zu langsam und als wollten
wir ihr Eintreten beschleunigen, oder wir rufen uns die Vergangenheit zurück,
als wollten wir sie festhalten, da sie zu schnell vorübereilte, wir sind
so unklug, daß wir in Zeiten umherirren, die nicht die unsrigen sind,
und nicht an die einzige denken, die uns gehört, und wir sind so eitel,
daß wir an jene denken, die nichts sind, und uns unüberlegt der
einzigen entziehen, die weiterbesteht. Das kommt daher, weil die Gegenwart
uns meistens weh tut. Wir verbergen sie unserem Blick, weil sie uns betrübt,
und wenn sie uns angenehm ist, bedauern wir, sie entschwinden zu sehen. Wir
bemühen uns, sie durch die Zukunft abzusichern, und meinen die Dinge
zu ordnen, die nicht in unserer Macht stehen, und das für eine Zeit,
die zu erreichen für uns ganz ungewiß ist.
Blaise Pascal (1, Pensèe 47), Gedanken
Was ist die Welt und ihr berühmtes Glänzen?
Was ist die Welt und ihre ganze Pracht?
Ein schnöder Schein in kurzgefaßten Grenzen,
ein schneller Blitz bei schwarzgewölkter Nacht;
ein buntes Feld, da Kummerdisteln grünen;
ein schönes Spital, so voller Krankheit steckt;
ein Sklavenhaus, da alle Menschen dienen,
ein faules Grab, so Alabaster deckt.
Das ist der Grund, darauf wir Menschen bauen
und was das Fleisch für einen Abgott hält.
Komm, Seele, komm und lerne weiter schauen,
als sich erstreckt der Zirkel dieser Welt.
Streich ab von dir derselben kurzes Prangen,
halt ihre Lust für eine schwere Last.
So wirst du leicht in diesen Port gelangen,
da Ewigkeit und Schönheit sich umfaßt.
Hofmann von Hofmannswaldau (1, 107), Die Welt
Im unendlichen Raum und unendlicher Zeit findet das menschliche
Individuum sich als endliche, folglich als eine gegen Jene verschwindende
Größe, in sie hineingeworfen und hat, wegen ihrer Unbegrenztheit,
immer nur ein relatives, nie ein absolutes Wann und Wo seines Daseins: denn
sein Ort und seine Dauer sind endliche Teile eines Unendlichen und Grenzenlosen.
[...] Die Gegenwart aber wird beständig unter seinen Händen zur
Vergangenheit: die Zukunft ist ganz ungewiß und immer kurz. So ist sein
Dasein [...] ein stetes Hinstürzen der Gegenwart in die tote Vergangenheit,
ein stetes Sterben. [...] so ist offenbar, daß wie bekanntlich unser
Gehn nur ein stets gehemmtes Fallen ist, das Leben unsers Leibes nur ein fortdauernd
gehemmtes Sterben, ein immer aufgeschobener Tod ist: endlich ist eben so die
Regsamkeit unsers Geistes eine fortdauernd zurückgeschobene Langeweile.
Jeder Atemzug wehrt den beständig eindringenden Tod ab, mit welchem wir
auf diese Weise in jeder Sekunde kämpfen, und dann wieder, in großem
Zwischenräumen, durch jede Mahlzeit, jeden Schlaf, jede Erwärmung
u.s.w. Zuletzt muß er siegen: denn ihm sind wir schon durch die Geburt
anheimgefallen, und er spielt nur eine Weile mit seiner Beute, bevor er sie
verschlingt. Wir setzen indessen unser Leben mit großem Anteil und vieler
Sorgfalt fort, so lange als möglich, wie man eine Seifenblase so lange
und so groß als möglich aufbläst, wiewohl mit der festen Gewißheit,
daß sie platzen wird.
Arthur Schopenhauer (3, Bd. 2: 389f), Die Welt als Wille
und Vorstellung
Verbringe deine Zeit nicht mit der Suche nach einem Hindernis, vielleicht
ist keins da.
Franz Kafka
Unwissen ist die Vorbedingung, ich sage nicht zum Glück, sondern zum
Leben selbst. Wenn wir alles wüßten, könnten wir das Leben
nicht eine Stunde lang ertragen.
Anatole France
Wir müssen unser Dasein so weit, als es irgend geht, annehmen; alles,
auch das Unerhörte, muß darin möglich sein. Das ist im Grunde
der einzige Mut, den man von uns verlangt: mutig zu sein zu dem Seltsamsten,
Wunderlichsten und Unaufklärbarsten, das uns begegnen kann.
Rainer Maria Rilke, Brief an Franz Xaver Kappus, 12. August
1904
Jeder hat seinen beißenden nächtezerstörenden Teufel in sich
und das ist weder gut noch schlecht, sondern es ist Leben: Hätte man
den nicht, würde man nicht leben. Was Sie in sich verfluchen, ist also
Ihr Leben. Dieser Teufel ist das Material (und im Grunde ein wunderbares),
das Sie mitbekommen haben und aus dem Sie nun etwas machen sollen.
Franz Kafka (2), Brief an Minze Eisner, März 1920
Lebensklugheit bedeutet: alle Dinge möglichst wichtig, aber keines völlig
ernst zu nehmen.
Arthur Schnitzler (3, 200), Aphorismen
Genaugenommen leben nur wenige Menschen wirklich in der Gegenwart, die meisten
haben nur vor, einmal richtig zu leben.
Jonathan Swift (1, 509), Ausgewählte Werke
Einige leben vor ihrem Tode, andere nach ihrem Tode. Die meisten Menschen
leben aber weder vor noch nach demselben; sie lassen sich gemächlich
in die Welt herein und aus der Welt hinausvegetieren.
Johann Gottfried Seume (1, 65), Apokryphen
Alle Lebewesen außer dem Menschen wissen, daß der Hauptzweck des
Lebens darin besteht, es zu genießen.
Samuel Butler