Tod & Sterben

Es macht mich glücklich zu sehen, daß die Menschen den Gedanken an den Tod durchaus nicht denken wollen! Ich möchte gern etwas dazu tun, ihnen den Gedanken an das Leben noch hundertmal denkenswerter zu machen.
Friedrich Nietzsche (4, § 278), Die fröhliche Wissenschaft

Ach! welch schrecklicher Gedanke, daß wir sterben müssen und welche ewiges Wunder, daß wir das immer wieder vergessen können!
Frau von Stael, Brief an ihren Sohn August, 31. Dezember 1805

Dir wird ängstlich beim Gedanken an den Tod? Ich habe nur entsetzliche Angst vor Schmerzen. Das ist ein schlechtes Zeichen. Den Tod wollen, die Schmerzen aber nicht, das ist ein schlechtes Zeichen. Sonst aber kann man den Tod wagen. Man ist eben als biblische Taube ausgeschickt worden, hat nichts Grünes gefunden und schlüpft nun wieder in die dunkle Arche.
Franz Kafka (2), Brief an Milena Jesenská, September 1920

Was wir im Tode fürchten, ist keineswegs der Schmerz: denn teils liegt dieser offenbar diesseits des Todes; teils fliehn wir oft vor dem Schmerz zum Tode [...]. Wir unterscheiden also Schmerz und Tod als zwei ganz verschiedene Übel: was wir im Tode fürchten, ist in der Tat der Untergang des Individuums, als welcher er sich unverhohlen kund gibt, und da das Individuum der Wille zum Leben selbst in einer einzelnen Objektivation ist, sträubt sich sein ganzes Wesen gegen den Tod.
Arthur Schopenhauer (3, Bd. 2: 357), Die Welt als Wille und Vorstellung

Körperliche Leiden. Schmerz und Krankheit, wenn sie mich treffen sollten, werde ich nicht vermeiden können zu fühlen, denn sie sind Ereignisse meiner Natur, und ich bin und bleibe hienieden Natur; aber sie sollen mich nicht betrüben. Sie treffen auch nur die Natur, mit der ich auf eine wunderbare Weise zusammenhänge, nicht Mich selbst, das über alle Natur erhabene Wesen. Das sichere Ende alles Schmerzes und alle Empfänglichkeit für den Schmerz ist der Tod; und unter allem, was der natürliche Mensch für ein Übel zu halten pflegt, ist es mir dieser am wenigsten. Ich werde überhaupt nicht für mich sterben, sondern nur für andere - für die Zurückbleibenden, aus deren Verbindung ich gerissen werde; für mich selbst ist die Todesstunde Stunde der Geburt zu einem neuen herrlicheren Leben.
Johann Gottlieb Fichte (1, Bd. 2: 315), Die Bestimmung des Menschen: Drittes Buch - Glaube

Ich werde erst sterben, wenn ich erfüllt haben werde, was ich erfüllt haben konnte. Gott stirbt nicht vor der Zeit. Er wacht hier auf und schläft dort ein, wie es gut ist. Was sträubst du dich gegen das, was du dein Schicksal nennst? Siehe dir selbst ins Antlitz: Dein Schicksal ist, daß du Gott bist. Ich sage: Gott! Aber wo uns die Wirklichkeit dieses Wortes faßte, da wäre unser Herz und Hirn auch schon dahin, wie ein Bologneser Glas, das, getroffen, zu Staub zerspringt. Gott schauen ist Tod, das wußten alle Völker. Gott erraten ist Leben.
Christian Morgenstern (2), Stufen. Weltbild: Episode, Tagebuch eines Mystikers, 1906

Siehst Du, ich meine, daß Du nun, da Dir zum ersten Mal zugemutet wird, im Tod des unendlich Nächsten den Tod zu erleiden, den ganzen Tod [...], daß jetzt der Augenblick da ist, da Du am Fähigsten bist, das reine Geheimnis wahr-zu-nehmen, das, glaub es mir, nicht des Todes, sondern des Lebens ist.
Jetzt heißt es [...] den Tod [...] zum Leben hinzuzunehmen, als ein nicht mehr Abzulehnendes, nicht länger Verleugnetes. Reiß es an Dich, dieses Entsetzliche, [...] schreck es nicht ab, indem Du vor ihm (wie alle anderen) erschrickst. Geh mit ihm um, oder [...] halt wenigstens still, so daß es ganz nahe kommen kann, das immer verjagte Wesen des Todes, und sich dir anschmiege. Denn dies ist, siehst Du, der Tod geworden bei uns, dies immer Verscheuchte, das sich nie mehr zu erkennen geben konnte.
Rainer Maria Rilke, Brief an Claire Goll, 22. Oktober 1923

Wir bedauern die Toten, als fühlten sie den Tod, und die Toten haben doch Frieden. Aber das, das ist der Schmerz, dem keiner gleichkömmt, das ist unaufhörliches Gefühl der gänzlichen Zernichtung, wenn unser Leben seine Bedeutung so verliert, wenn so das Herz sich sagt, du mußt hinunter und nichts bleibt übrig von dir; keine Blume hast du gepflanzt, keine Hütte gebaut, nur daß du sagen könntest: ich lasse eine Spur zurück auf Erden. Ach! und die Seele kann immer so voll Sehnens sein, bei dem, daß sie so mutlos ist!
Friedrich Hölderlin (1, 46), Hyperion oder der Eremit in Griechenland

Wir wollen uns aber auch auf folgende Weise zu Gemüt führen, wie viele Hoffnung da ist, daß Sterben etwas Gutes sei: Eins von beiden muß der Tod sein: entweder er ist wie ein Nichts-Sein, und der Gestorbene hat keine Empfindung weiter von irgend etwas, oder nach der gewöhnlichen Annahme, ist er eine Verwandlung und eine Versetzung der Seele aus diesem in einen anderen Ort. Ist er nun >>keine Empfindung weiter<<, sondern gleichsam ein Schlaf, in dem der Schlafende nicht einmal einen Traum sieht [...] so nenne ich ihn einen Gewinn; und alle Zeit vor uns scheint auf diese Weise nur Eine lange Nacht zu sein. Wenn aber der Tod ein Auswandern ist, aus diesem nach einem anderen Ort, und es ist wahr, was gesagt wird, daß alle, die gestorben sind, sich dort befinden, welche Glückseligkeit könnte größer sein als diese!
Platon (1), Die Apologie des Sokrates

Was ist Traum? Was ist Tod? Ist dieser nur eine Unterbrechung des Lebens? oder gänzliches Aufhören desselben? Ja, für Leute, die nur Vergangenheit und Zukunft kennen und nicht in jedem Momente der Gegenwart eine Ewigkeit leben können, ja, für solche muß der Tod schrecklich sein! Wenn ihnen die beiden Krücken, Raum und Zeit, entfallen, dann sinken sie ins ewige Nichts. Und der Traum? Warum fürchten wir uns vor dem Schlafengehn nicht weit mehr als vor dem Begrabenwerden? Ist es nicht furchtbar, daß der Leib eine ganze Nacht leichentot sein kann, während der Geist in uns das bewegteste Leben führt, ein Leben mit allen Schrecknissen jener Scheidung, die wir eben zwischen Leib und Geist gestiftet?
Heinrich Heine (2, 97), Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski

Gewöhne Dich an den Gedanken, daß der Tod für uns keine Bedeutung hat, da ja alles Gute und Schlechte eine Frage der Wahrnehmung ist. Der Tod aber ist die Beraubung der Wahrnehmung. [...] So hat also das schauderhafteste Übel, der Tod, für uns keine Bedeutung, da ja, solange wir leben, der Tod nicht anwesend ist, sobald aber der Tod eintritt, wir nicht mehr leben werden.
Epikur (2, 267), Brief an Menoikeus

Nein! Wie ich Dir hier noch einmal sage, das Leben flieht die Wüste des Todes, aber dem Tod eine Macht zuschreiben über das Leben, das ist Unsinn. Es ist aber noch eben so dumm, irgend eine Macht anzuerkennen, über uns, als nur das Leben selbst [...] Was auch in der Welt für Polizei der Seele herrscht, ich folg ihr nicht, ich stürze mich als brausender Lebensstrom in die Tiefe, wohin michs lockt. - Ich! Ich! Ich! - Ich greife um mich mit meinen Fluten, ich eile in stolzen Wogen durch die Triften. Ich durchziehe euch, ihr Heiden, - dort kommen die Berge, die Welt ist rund, mir ist jedes Tal die Höhe, die mir zu durchbrausen beliebt.
Bettina von Arnim (2, 63), Frühlingskranz

Fordert die Natur das zurück, was sie uns zuallererst geliehen hat, so werden wir auch in diesem Falle sagen: Nimm meinen Geist wieder hin, besser als du mir ihn gabst; ich fliehe nicht und weigere mich nicht; da hast du wieder, was du mir gabst, ohne daß ich es wußte; willig gebe ich es zurück; nimm es! Dahin zurückkehren, woher man kam, was ist daran Schweres? Schlecht lebt jeder, der nicht gut zu sterben weiß.
Seneca (1, 142), Vom glückseligen Leben

Nicht die Dinge selbst, sondern die Meinungen über dieselben beunruhigen die Menschen. So ist der Tod an und für sich nichts Schreckliches, sonst wäre er auch dem Sokrates so vorgekommen; vielmehr ist die vorgefaßte Meinung von ihm, daß er etwas Schreckliches sei, das Schreckhafte.
Epiktet (1, 5.), Handbüchlein der Moral

Der Tod wird erst furchtbar durch den Hintergrund, den man ihm gibt. Wie die Liebe eine beseeligende Traumwelt, so erzeugt die Furcht eine höllische Traumwelt. Der irregeleitete Verstand erzeugt die Schrecken. Man soll den Tod nicht überwinden, aber wohl bestehen lernen.
Friedrich Nietzsche (10, 9[1]), Nachlass: Fragmente Sommer 1875

Wer das Leben genießen will, muß sich immer vor Augen halten: Geboren werden bedeutet nur, zu sterben beginnen.
Theophile Gautier

Ein erstes Zeichen beginnender Erkenntnis ist der Wunsch zu sterben. Dieses Leben scheint unerträglich, ein anderes unerreichbar. Man schämt sich nicht mehr, sterben zu wollen; man bittet, aus der alten Zelle, die man haßt, in eine neue gebracht zu werden, die man erst hassen lernen wird. Ein Rest von Glauben wirkt dabei mit, während des Transportes werde zufällig der Herr durch den Gang kommen, den Gefangenen ansehen und sagen: »Diesen sollt ihr nicht wieder einsperren. Er kommt zu mir.«
Franz Kafka (1, 13.), Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg

Wenn du alle Geheimnisse des Lebens gelöst hast, sehnst du dich nach dem Tod, denn er ist nur ein anderes Geheimnis des Lebens. Geburt und Tod sind die beiden edelsten Ausdrücke für Tapferkeit.
Khalil Gibran (1, 61), Sand und Schaum

Sterben! Was heißt das? Siehe, wir träumen, wenn wir vom Tode reden. Ich habe manchen sterben sehen; aber so eingeschränkt ist die Menschheit, daß sie für ihres Daseins Anfang und Ende keinen Sinn hat. Jetzt noch mein, dein! Dein, o Geliebte! Und einen Augenblick - getrennt, geschieden - vielleicht auf ewig? - nein, Lotte, nein - wie kann ich vergehen? Wie kannst du vergehen? Wir sind ja! - vergehen! - was heißt das? Das ist wieder ein Wort, ein leerer Schall, ohne Gefühl für mein Herz.
Johann Wolfgang von Goethe (2, 2.Buch), Die Leiden des jungen Werther: Am 20. Dezember

Der Tod bedeutet Nichtssein. Was dies ist, weiß ich schon. Dies wird der Zustand nach meiner Existenz sein, wie er schon vor meiner Existenz war. Wenn darin etwas Schlimmes liegt, so muß es auch darin gelegen haben, ehe wir das Licht der Welt erblickten. Doch wir haben damals keinen Schmerz gefühlt. Wäre es wohl nicht töricht, glauben zu wollen, es sei schlimmer für die Lampe, wenn sie erloschen ist, als bevor sie angezündet wird. Auch wir werden angezündet und erlöschen wieder; in der Zwischenzeit empfinden wir Schmerz; vorher und nachher aber ist tiefe Ruhe.
Seneca (1, 51), Vom glückseligen Leben

Wenn was uns den Tod so schrecklich erscheinen läßt der Gedanke des Nichtseins wäre; so müßten wir mit gleichem Schauder der Zeit gedenken, da wir noch nicht waren. Denn es ist unumstößlich gewiß, daß das Nichtsein nach dem Tode nicht verschieden sein kann von dem vor der Geburt, folglich auch nicht beklagenswerter. Eine ganze Unendlichkeit ist abgelaufen, als wir noch nicht waren; aber das betrübt uns keineswegs. Hingegen, daß nach dem momentanen Intermezzo eines ephemeren Daseins eine zweite Unendlichkeit folgen sollte, in der wir nicht mehr sein werden, finden wir hart, ja unerträglich. Sollte nun dieser Durst nach Dasein etwa dadurch entstanden sein, daß wir es jetzt gekostet und so gar allerliebst gefunden hätten?
Arthur Schopenhauer (3, Bd. 2: 546f), Die Welt als Wille und Vorstellung

Wer einen Tag lang gelebt hat, hat ein Jahrhundert gelebt: dieselbe Sonne, dieselbe Erde, dieselbe Welt, dieselben Empfindungen; nichts gleicht dem Heute so sehr wie das Morgen. Wir sollten begierig darauf sein zu sterben, das heißt, körperlos und reiner Geist zu werden: doch der Mensch, der sonst so ungeduldig nach Neuem verlangt, kennt gerade in diesem Punkt keine Neugier; unstet von Natur und von allem gelangweilt, wird er des Lebens niemals überdrüssig; er wäre vielleicht bereit, ewig zu leben. Was er vom Tode sieht, berührt ihn heftiger, als was er davon weiß: Krankheit, Schmerz und Leichnam nehmen ihn die Lust an der Erkenntnis des Jenseits. Es bedarf des ganzen Ernsten der Religion, ihn umzustimmen.
Jean de La Bruyère (1, 397), Die Charaktere oder Die Sitten des Jahrhunderts

Freilich ist es seltsam, die Erde nicht mehr zu bewohnen, kaum erlernte Gebräuche nicht mehr zu üben, Rosen, und andern eigens versprechenden Dingen nicht die Bedeutung menschlicher Zukunft zu geben; das, was man war in unendlich ängstlichen Händen, nicht mehr zu sein, und selbst den eigenen Namen wegzulassen wie ein zerbrochenes Spielzeug. Seltsam, die Wünsche nicht weiterzuwünschen. Seltsam, alles, was sich bezog, so lose im Raume flattern zu sehen. Und das Totsein ist mühsam und voller Nachholn, daß man allmählich ein wenig Ewigkeit spürt.
Rainer Maria Rilke (2, 1.), Duineser Elegien

Wie es sein wird, wenn wir die Grenze dieses Lebens betreten haben, wenn sein letzter Atemzug vorbei ist - wer kann es sagen? Daß alles, was göttlich ist, nicht untergehen kann, ist gewiß: geht doch nicht einmal ein Sandkorn verloren, nicht einmal ein Wassertropfen, wir wissen es und wir sehen es, daß beides nicht Nichts werden könne, sondern daß es nur die Gestalt wechselt [...] Was in uns denkt, fühlt, liebt, haßt, Gott anbetet, ins Jenseits übergreift, ist sogar ein ganz und gar Unwandelbares [...]. Es ist, wir können sein Nichtsein nicht denken und [...] Wie dasselbe ohne menschlichen Körper ist, können wir nicht fassen, weil wir nur durch den Körper fassen, wie der, welcher von einer Seite eines Berges sieht, nie, solange er sich dort befindet, sehen kann, was hinter dem Rücken des Berges ist; aber was auch sein möge hinter jener Grenze, die unsere Augen schließt: es ist das Beste, Herrlichste und Weiseste, dessen dürfen wir gewiß sein, das lehrt uns das Stück Leben, welches wir Diesseits nennen, hinreichend [...].
Adalbert Stifter, Brief an Gustav Heckengast, 12. Juni 1856

Gegen 4 Uhr morgens konnte er uns nicht mehr sehen, obgleich die Morgenröte schon in der Stube war - die Augen blickten versteinert vor sich hin - eine Gesichtzuckung kam auf die andre - den Mund zog eine Entzückung immer lächelnder auseinander - Frühling-Phantasien, die weder dieses Leben erfahren, noch jenes haben wird, spielten mit der sinkenden Seele - endlich stürzte der Todesengel den blassen Leichenschleier auf sein Angesicht und hob hinter ihm die blühende Seele mit ihren tiefsten Wurzeln aus dem körperlichen Treibkasten voll organisierter Erde..... Das Sterben ist erhaben; hinter schwarzen Vorhängen tut der einsame Tod das stille Wunder und arbeitet für die andre Welt, und die Sterblichen stehen da mit nassen, aber stumpfen Augen neben der überirdischen Szene....
Jean Paul (5, 455f), Die unsichtbare Loge

Es ist unmöglich, Niels, daß es mit dem Tode vorbei ist, du kannst es nicht so fühlen, du bist ja gesund; du meinst, der Tod müsse uns völlig vernichten, weil man so matt ist und weil alles hinschwindet; aber das ist nur für die Außenwelt. Hier drinnen ist ebensoviel Seele wie vorher, glaube mir es, Niels, ich habe es alles hier drinnen, was ich bekommen habe, dieselbe unendliche Welt, nur stiller, nur mehr für mich allein geradeso, als wenn man seine Augen schließt. Es ist nur wie ein Licht, das von dir fortgeht, fort von dir, ins Dunkle hinein, und es wird für dich schwächer und schwächer, und du kannst es nicht sehen, und doch leuchtet es noch ebenso hell, dort, wo es jetzt ist, weit fort von dir.
Jens Peter Jacobsen (1, 290f), Niels Lyhne

Aber was sollen Welt und Leben ohne Dich? Und wenn Du es tausendmal nicht willst - Du ziehst mich Dir doch nach. Unsichtbare, unzerreißbare Fäden ketten uns aneinander seit Uranfangszeiten. Und ich folge Dir, weiß oft kaum, ob ich noch hier bin. Das ist der einizige Trost. [...] Überall, wo Du hier auf Erden geweilt, haben Dich meine Gedanken begleitet, auf allen Reisen waren sie mit Dir - ich habe durch die Sehnsucht so ganz bei dir gelebt, daß ich Orte kenne, in denen ich nie gewesen. [...] - Das war mein eigentliches Leben, dort bei Dir war stets mein wahres Ich. Nun bist Du noch viel weiter fortgezogen zu allerfernsten Stätten. Aber auch dahin folg ich Dir. Ich muß Dir durch alle Zeiten schon so gefolgt sein, seit es Leben und Willen gab. Und geht dein Weg durch die Weltenräume, zu anderen Erden, Monden und Sonnen, durch tiefe Nacht und weiß glühende Helle - ich folge Dir - ich kann nicht anders!
Elisabeth von Heyking (1, 65.), Briefe, die ihn nicht erreichten: 21. August 1900

Wir sehen - und können nicht anders - den Tod als ein Scheiden der Seele, eine Befreiung derselben aus den Banden des Körpers an. [...] Vielleicht ändert sie schon im Augenblick, wo sie den Körper verläßt, ihre irdische Natur und wirft nun einen scheidenden Strahl auf den zurückgebliebenen, dessen Licht wir in den immer den Seeleneindrücken folgsamen Gesichtszügen erblicken. Alles in diesen letzten Momenten ist wunderbar und unbegreiflich, und wenn wir uns auch selbst darin befinden werden, so werden wir doch, auch mit der größesten Besonnenheit, nicht mehr davon wissen und erfahren. Denn gewiß endet sich das Leben zunächst nur mit völliger Besinnungslosigkeit. Die Natur wirft einen dichten Schleier über ihre Verwandlungen.
Wilhelm von Humbolt (2, 281), Brief an Charlotte Diede, 5. Mai 1832

Sie lag da, ganz in Blumen gebettet - die Stores waren niedergelassen - ich saß auf einem Stuhl [...] - ringsum war es still - nur das Meer rauschte vor dem Fenster - es schien, als höbe sich der Flor von schwachen, ganz schwachen Atemzügen ... Sanft waren die Kümmernisse und Sorgen erstarrt, als habe das Leiden ein Ende gefunden, ohne Spuren zu hinterlassen; sie waren weggewischt von der sorgenfreien Klarheit eines Denkmals, das nicht weiß, was es darstellt. Und ich schaute nur immer - schaute die ganze Nacht hindurch - und wenn sie nun tatsächlich aufwachte? Sie wachte nicht auf. Das war kein Schlaf - das war der Tod.
Alexander Herzen (2, 236), Erlebtes und Gedachtes

Denn wir, wo wir fühlen, verflüchtigen; ach wir atmen uns aus und dahin; von Holzglut zu Holzglut geben wir schwächern Geruch. Da sagt uns wohl einer: ja, du gehst mir ins Blut, dieses Zimmer, der Frühling füllt sich mit dir . . . Was hilfts, er kann uns nicht halten, wir schwinden in ihm und um ihn. Und jene, die schön sind, o wer hält sie zurück? Unaufhörlich steht Anschein auf in ihrem Gesicht und geht fort. Wie Tau von dem Frühgras hebt sich das Unsre von uns, wie die Hitze von einem heißen Gericht. O Lächeln, wohin? O Aufschaun: neue, warme, entgehende Welle des Herzens -; weh mir: wir sinds doch. Schmeckt denn der Weltraum, in den wir uns lösen, nach uns?
Rainer Maria Rilke (1, 2.), Duineser Elegien

Das Bewußtsein und das Leben sind ewig. Alles, was lebt, hat immer gelebt und lebt ohne Ende. Der einzige Unterschied, den ich zwischen Tod und dem Leben sehe, ist, jetzt leben Sie als Ganzes, und in zwanzig Jahren in Moleküle aufgelöst und zerstreut, sozusagen stückweise.
Denis Diderot (1, 50), Brief an Sophie Volland, 15. Oktober 1759

Die zeitliche Unsterblichkeit der Seele des Menschen, das heißt also ihr ewiges Fortleben auch nach dem Tode, ist nicht nur auf keine Weise verbürgt, sondern vor allem leistet diese Annahme gar nicht das, was man immer mit ihr erreichen wollte. Wird denn dadurch ein Rätsel gelöst, daß ich ewig fortlebe? Ist denn dieses ewige Leben dann nicht ebenso rätselhaft wie das gegenwärtige? Die Lösung des Rätsel des Lebens in Raum und Zeit liegt außerhalb von Raum und Zeit.
Ludwig Wittgenstein (6.4312), Tractatus logico-philosophicus

Aller Tod in der Natur ist Geburt, und gerade im Sterben erscheint sichtbar die Erhöhung des Lebens. Es ist kein tötendes Prinzip in der Natur, denn die Natur ist durchaus lauter Leben; nicht der Tod tötet, sondern das lebendigere Leben, welches, hinter dem alten verborgen, beginnt und sich entwickelt. Tod und Geburt ist bloss das Ringen des Lebens mit sich selbst, um sich stets verklärter und ihm selbst ähnlicher darzustellen.
Johann Gottlieb Fichte (1, Bd. 2: 318), Die Bestimmung des Menschen: Drittes Buch - Glaube

Der Tod [...] gleicht dem Untergange der Sonne, die nur scheinbar von der Nacht verschlungen wird, wirklich aber, selbst Quelle alles Lichtes, ohne Unterlaß brennt, neuen Welten neue Tage bringt, allezeit im Aufgange und allezeit im Niedergange. Anfang und Ende trifft nur das Individuum, mittelst der Zeit, der Form dieser Erscheinung für die Vorstellung.
Arthur Schopenhauer (3, Bd. 2: 455), Die Welt als Wille und Vorstellung

Aber alles Abschiednehmen muß von einem Wiederkommen abgelöst werden. Auf die Trennung, die das Sterben bringt, folgt die Wiederkehr, die Stunde der Auferstehung. Das Leben läßt sich nicht bis ins Unendliche begraben, auch das tote Leben nicht. Auch im Tod ist ein Wellenschlag. Das Land hat seine Berge und Hügel, das Meer seine Wellen und Wogen, der Himmel seine Wolken und seine Glätte. Und auch das vergangene Leben hat sein Gehen und Wiederkehren.
Max Dauthendey (1, 129f); Geschichten aus den vier Winden: Zwei Reiter am Meer

Das ganze Leben kehrt in sich selbst zurück, und wo wir schon so in uns selbst zurückgegangen sind, daß wir von uns selbst und also von keinem Ding uns mehr getrennt denken können, heißt es, sei der Tod; [...] als das ewige Zurückkehren und Hervorgehen des Lebens aus und in sich in demselben Momente. - Eben so ist das Leben in jedem Momente des Todes, denn Leben und Tod sind eins; um leben zu können, muß man ewig sterben, und um sterben zu können ewig leben.
Bettina von Arnim (2, 146), Frühlingskranz

Es ist nämlich der Betrachtung wert, daß im menschlichen Herzen kein Trieb so schwach ist, daß er nicht stärker wäre als die Todesfurcht und sie überträfe; daher ist der Tod auch kein so schrecklicher Feind, wenn der Mensch soviel Helfer um sich hat, die ihn bezwingen können. Rache triumphiert über den Tod; Liebe missachtet ihn; Ruhm erstrebt ihn; Kummer flieht ihm zu; Furcht nimmt ihn vorweg.
Francis Bacon (1, 7f), Essays

Der Tod ist groß
Wir sind die Seinen
lachenden Munds.
Wenn wir uns mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns.
Rainer Maria Rilke (3), Schlußstück

Wenn man im Herbst die kleine Welt der Insekten betrachtet und nun sieht, wie das eine sich sein Bett bereitet, um zu schlafen, den langen, erstarrenden Winterschlaf; das andere sich einspinnt, um als Puppe zu überwintern und einst, im Frühling, verjüngt und vervollkommnet zu erwachen; endlich die meisten, als welche ihre Ruhe in den Armen des Todes zu halten gedenken, bloß ihrem Ei sorgfältig die geeignete Lagerstätte anpassen, um einst aus diesem erneuet hervorzugehn; - so ist dies die große Unsterblichkeitslehre der Natur, welche uns beibringen möchte, daß zwischen Schlaf und Tod kein radikaler Unterschied ist, sondern der Eine so wenig wie der Andere das Dasein gefährdet. Die Sorgfalt, mit der das Insekt eine Zelle, oder Grube, oder Nest bereitet, sein Ei hineinlegt, nebst Futter für die im kommenden Frühling daraus hervorgehende Larve, und dann ruhig stirbt, - gleicht ganz der Sorgfalt, mit der ein Mensch am Abend sein Kleid und sein Frühstück für den kommenden Morgen bereit legt und dann ruhig schlafen geht, - und könnte im Grunde gar nicht Statt haben, wenn nicht, an sich und seinem wahren Wesen nach, das im Herbste sterbende Insekt mit dem im Frühling auskriechenden eben so wohl identisch wäre, wie der sich schlafen legende Mensch mit dem aufstehenden.
Wenn wir nun, nach diesen Betrachtungen, zu uns selbst und unserm Geschlechte zurückkehren und dann den Blick vorwärts, weit hinaus in die Zukunft werfen, die künftigen Generationen, mit den Millionen ihrer Individuen, in der fremden Gestalt ihrer Sitten und Trachten uns zu vergegenwärtigen suchen, dann aber mit der Frage dazwischenfahren: Woher werden diese Alle kommen? Wo sind sie jetzt? - Wo ist der reiche Schoß des weltenschwangeren Nichts, der sie noch birgt, die kommenden Geschlechter? - Wäre darauf nicht die lächelnde und wahre Antwort: Wo anders sollen sie sein, als dort, wo allein das Reale stets war und sein wird, in der Gegenwart und ihrem Inhalt, also bei Dir, dem betörten Präger, der, in diesem Verkennen seines eigenen Wesens, dem Blatte am Baume gleicht, welches im Herbste welkend und im Begriff abzufallen, jammert über seinen Untergang und sich nicht trösten lassen will durch den Hinblick auf das frische Grün, welches im Frühling den Baum bekleiden wird, sondern klagend spricht: »Das bin ja Ich nicht! Das sind ganz andere Blätter!« - O törichtes Blatt! Wohin willst du? Und woher sollen andere kommen? Wo ist das Nichts, dessen Schlund du fürchtest? - Erkenne doch dein eigenes Wesen, gerade Das, was vom Durst nach Dasein so erfüllt ist, erkenne es wieder in der innern, geheimen, treibenden Kraft des Baumes, welche, stets eine und die selbe in allen Generationen von Blättern, unberührt bleibt vom Entstehn und Vergehn.
Arthur Schopenhauer (3, Bd. 4: 559f), Die Welt als Wille und Vorstellung

Steht nicht an meinem Grab und weint, ich bin nicht da, nein ich schlafe nicht. Ich bin eine der tausend wogenden Wellen des Sees, ich bin das diamantene Glitzern des Schnees, wenn ihr erwacht in der Stille am Morgen, dann bin ich für euch verborgen, ich bin ein Vogel im Flug, leise wie ein Luftzug, ich bin das sanfte Licht der Sterne in der Nacht. Steht nicht an meinem Grab und weint, ich bin nicht da, nein ich schlafe nicht.
Lakota-Indianer

Ihr verbreitet den Tod, ihr kauft und verkauft Tod, aber ihr verleugnet ihn; ihr wollt ihm nicht ins Gesicht sehen. Ihr habt den Tod steril gemacht, unter den Teppich gekehrt, ihn seiner Wüde beraubt. Wir Indianer jedoch denken noch an den Tod, denken viel über ihn nach. Auch ich tue es. Heute wäre ein guter Tag zum Sterben - nicht zu heiß, nicht zu kalt -, ein Tag, an dem etwas von mir zurückbleiben könnte, um noch ein wenig hier zu verweilen. Ein vollkommener Tag für einen Menschen, der an das Ende seines Weges kommt. Für einen Menschen, der glücklich ist und viele Freunde hat.
Lame Deer (Tahca Ushte - Häuptling der Miniconjou-Lakota)

All jene, die sich in ihrem Leben liebten und sich nebeneinander bestatten lassen, sind vielleicht gar nicht so närrisch, wie man denkt. Vielleicht drängt sich ihrer beider Asche zusammen, vermischt sich und vereinigt sich. Was weiß ich? Vielleicht haben sie nicht jegliche Empfindung, jegliche Erinnerung an ihren einstigen Zustand verloren? Vielleicht haben sie einen Rest Wärme und Leben in sich und genießen sie auf ihre Weise tief in der kalten Urne, die sie umschließt. [...] O meine Sophie, es bliebe mir also ein Hoffnung. Sie berühren, Sie fühlen, Sie lieben, Sie suchen zu können, um mich mit Ihnen zu vereinigen, zu vermischen, sobald wir einmal nicht mehr sein werden! Wenn es doch so wäre, daß in unseren Bestandteilen das Gesetz der Anziehungskraft herrscht, daß es uns vorbehalten ist, ein gemeinsames Wesen zu bilden, daß ich in den folgenden Jahrhunderten ein Ganzes mit Ihnen werden, daß die Moleküle Ihres aufgelösten Geliebten unversehens in Aufruhr geraten und sich vorwärts bewegen, um Ihre, überall in der Natur verstreuten Teilchen zu suchen!
Denis Diderot (1, 51), Brief an Sophie Volland, 15. Oktober 1759

Was sträubt sich doch der Mensch, sagte ich in jenen Augenblicken zu mir selbst, vor dem Sterben? ich freue mich auf jede Nacht, indem ich das Unbewußtsein und dunkle Träume dem hellern Leben vorziehe; warum grauet mir doch vor der langen Nacht und dem tiefen Schlummer? Welche Taten warten noch meiner, oder welche bessere Erkenntnis auf Erden, daß ich länger leben müßte? - Eine Notwendigkeit gebiert uns alle in die Persönlichkeit, eine gemeinsame Nacht verschlinget uns alle. Jahre werden mir keine bessere Weisheit geben, und wann Lernen, Tun und Leiden drunten noch Not tut, wird ein Gott mir geben, was ich bedarf. So sprach ich mir selbst zu, aber die Gedanken, die ich liebe, traten zu mir, und die Heroen, die ich angebetet hatte von Jugend auf: «Was willst Du am hohen Mittage die Nacht ersehnen?» riefen sie mir zu. «Warum untertauchen in dem alten Meer und darin zerrinnen mit allem, was Dir lieb ist?»
So wechselten die Vorstellungen in mir, und Deiner gedacht ich, und immer Deiner, und fast alles andre nur in bezug auf Dich, und wenn anders den Sterblichen vergönnt ist, noch eines ihrer Güter aus dem Schiffbruch des irdischen Lebens zu retten, so hätte ich gewiß Dein Andenken mit hinabgenommen zu den Schatten. Daß Du mir aber könntest verloren sein, war der Gedanken schmerzlichster. Ich zagte, daß Dein Ich und das meine sollten aufgelöst werden in die alten Urstoffe der Welt; dann tröstete ich mich wieder, daß unsere befreundeten Elemente, dem Gesetze der Anziehung gehorchend, sich selbst im unendlichen Raume aufsuchen und zueinander gesellen würden. So wogten Hoffnung und Zweifel auf und nieder in meiner Seele, und Mut und Zagheit. Doch das Schicksal wollte - ich lebe noch. -
Aber was ist es doch, das Leben? Dieses schon aufgegebene, wieder erlangte Gut! so frag ich mich oft: Was bedeutet es, daß aus der Allheit der Natur ein Wesen sich mit solchem Bewußtsein losscheidet und sich abgerissen von ihr fühlt? Warum hängt der Mensch mit solcher Stärke an Gedanken und Meinungen, als seien sie das Ewige, warum kann er sterben für sie, da doch für ihn eben dieser Gedanke mit seinem Tode verloren ist? und warum, wenn gleichwohl diese Gedanken und Begriffe dahinsterben mit den Individuen, warum werden sie von denselben immer wieder aufs neue hervorgebracht und drängen sich so durch die Reihen des aufeinanderfolgenden Geschlechtes zu einer Unsterblichkeit in der Zeit?
Lange wußt' ich diesen Fragen nicht Antwort, und sie verwirrten mich; da war mir plötzlich in einer Offenbarung alles deutlich und wird es mir ewig bleiben. Zwar weiß ich, das Leben ist nur das Produkt der innigsten Berührung und Anziehung der Elemente; weiß, daß alle seine Blüten und Blätter, die wir Gedanken und Empfindungen nennen, verwelken müssen, wenn jene Berührung aufgelöst wird, und daß das einzelne Leben dem Gesetz der Sterblichkeit dahingegeben ist; aber so gewiß mir dieses ist, ebenso über allem Zweifel ist mir auch das andre, die Unsterblichkeit des Lebens im Ganzen; denn dieses Ganze ist eben das Leben, und es wogt auf und nieder in seinen Gliedern, den Elementen, und was es auch sei, das durch Auflösung (die wir zuweilen Tod nennen) zu denselben zurückgegangen ist, das vermischt sich mit ihnen nach Gesetzen der Verwandtschaft, d. h. das Ähnliche zu dem Ähnlichen. Aber anders sind diese Elemente geworden, nachdem sie einmal im Organismus zum Leben hinaufgetrieben gewesen, sie sind lebendiger geworden; wie zwei, die sich in langem Kampf übten, stärker sind, wenn er geendet hat, als ehe sie kämpften, so die Elemente, denn sie sind lebendig, und jede lebendige Kraft stärkt sich durch Übung. Wenn sie also zurückkehren zur Erde, vermehren sie das Erdleben. Die Erde aber gebiert den ihr zurückgegebenen Lebensstoff in andern Erscheinungen wieder, bis durch immer neue Verwandlungen alles Lebensfähige in ihr ist lebendig geworden.
Karoline von Günderode (1, 70f), Briefe zweier Freunde

Rede eines Selbstmörders, kurz vor der Tat aufgesetzt. [...] Es ist dies keine Anwandlung einer tollen Verzweiflung, ich kenne die Kette meiner Tage aus den wenigen Gliedern, die ich gelebt habe, zu wohl. Ich bin müde, weiterzugehen; hier will ich ganz ersterben oder doch wenigstens über Nacht bleiben. Hier nimm meinen Stoff wieder, Natur, knete ihn in die Masse der Wesen wieder ein, mache einen Busch, eine Wolke, alles, was du willst, aus mir, auch einen Menschen, aber mich nicht mehr.
Georg Christoph Lichtenberg (2, 29), Aphorismen

Meine liebste Marie, wenn Du wüßtest, wie der Tod und die Liebe sich abwechseln, um diese letzten Augenblicke meines Lebens mit Blumen, himmlischen und irdischen, zu bekränzen, gewiß Du würdest mich gern sterben lassen. Ach, ich versichre Dich, ich bin ganz selig. Morgens und abends knie ich nieder, was ich nie gekonnt habe, und bete zu Gott; ich kann ihm mein Leben, das allerqualvollste, das je ein Mensch geführt hat, jetzo danken, weil er es mir durch den herrlichsten und wollüstigsten aller Tode vergütigt. Ach, könnt ich nur etwas für Dich tun, das den herben Schmerz, den ich Dir verursachen werde, mildern könnte! [...] - Ach, meine teure Freundin, möchte Dich Gott bald abrufen in jene bessere Welt, wo wir uns alle, mit der Liebe der Engel, einander werden ans Herz drücken können. - Adieu.
Heinrich von Kleist (1, 227), Abschiedsbrief an Marie von Kleist am Tage seines Freitods: 21. November 1811

Ich kann nicht sterben, ohne mich, zufrieden und heiter, wie ich bin, mit der ganzen Welt, und somit auch, vor allen anderen, meine teuerste Ulrike, mit Dir versöhnt zu haben. [...] Du hast an mir getan, ich sage nicht, was in Kräften einer Schwester, sondern in Kräften eines Menschen stand, um mich zu retten: die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war. Und nun lebe wohl; möge Dir der Himmel einen Tod schenken, nur halb an Freude und unaussprechlicher Heiterkeit, dem meinigen gleich: das ist der herzlichste und innigste Wunsch, den ich für Dich aufzubringen weiß.
Heinrich von Kleist (1, 226), Abschiedsbrief an Ulrike von Kleist am Tage seines Freitods: 21. November 1811

Liebe Mala, will Ihm zum Abschied die Hand geben und Ihn um Verzeihung bitten für das, was Ihm einmal angetan hat. Hat einen Goldklumpen in der Hand gehabt und sich nach Rechenpfennigen gebückt; hat nicht verstanden und hat Dummheiten gemacht [...] Und jetzt sind es beinah auf den Tag sieben Jahre, daß weggegangen ist, nein, daß hat weggehn lassen - und nun stürzen die Erinnerungen nur so herunter, alle zusammen. Ich weiß, was ich in Ihm an Ihm klage: unser ungelebtes Leben. [...] Seine liebevolle Geduld, diesen Wahnwitz damals mitzumachen, die Unruhe, die Geduld, neben einem Menschen zu leben, der wie ewig gejagt war, der immerzu Furcht, nein, Angst gehabt hat, jene Angst, die keinen Grund hat, keinen anzugeben weiß, heute wäre sie nicht mehr nötig. Heute weiß. Wenn Liebe das ist, was einen ganz und gar umkehrt, was jede Faser verrückt, so kann man das hier und da empfinden. Wenn aber zur echten Liebe dazu kommen muß, daß sie währt, daß sie immer wieder kommt, immer und immer wieder -: dann hat nur ein Mal in seinem Leben geliebt. Ihn. Es war wie Glas zwischen uns - ich war schuld.
Kurt Tucholsky (4, 544f), Abschiedsbrief an Mary Gerold kurz vor seinem Freitod: 19. Dezember 1935

An ALLE!
Daß ich sterbe, dürft ihr keinem zur Last legen, und bitte _ macht keinen Klatsch daraus. So was ist dem Verstorbenen furchtbar unlieb gewesen. Mutter, Schwestern und Genossen, verzeiht _ das ist keine Art (empfehle sie keinem), doch ich habe keine Auswege mehr.
Lilja _ liebe mich.
Genosse Regierung, meine Familie sind Lilja Brik, meine Mutter, meine Schwestern und Veronika Witoldowna Polonskaja. Wenn du ihnen ein leidliches Leben bereitest _ danke. Die angefangenen Verse gebt Briks, sie kennen sich aus.
Wie man so sagt _
«der Fall ist gepfeffert»,
der Liebeskahn
ist am Alltag zerschellt.
Ich bin quitt mit dem Leben,
kein Aufrechnen nötig
der einander verpaßten
Schmerzen,
Leiden
und Beleidigungen.
Lebt wohl.
Wladimir Majakowski (2), Abschiedsbrief kurz vor seinem Freitod: 12. April 1930